Vortrag
"Ich helfe dir ja schon“ – Leistungsgefühle in der Altenhilfe im Übergang von sozialistischer Selbstverständlichkeit zu postsozialistischer Dienstleistung
Referentin: Dr. Maren Hachmeister
26.09.2022 - 14:00 Uhr
Kulturwissenschaftliches Institut Essen (KWI), Goethestraße 31, 45128 Essen
Beschreibung der Veranstaltung
Dr. Maren Hachmeister hält im Rahmen des Workshops "Leistungsgefühle. Historische Perspektiven transnational" den Vortrag "'Ich helfe dir ja schon' – Leistungsgefühle in der Altenhilfe im Übergang von sozialistischer Selbstverständlichkeit zu postsozialistischer Dienstleistung".
Abstract:
Mit dem Jahr 1989 änderten sich die Rahmenbedingungen für die freiwillige Fürsorge in Ostdeutschland und seinen ostmitteleuropäischen Nachbarländern grundlegend. Die Kommunistischen Parteien hatten hier zuvor von jeder und jedem Einzelnen gewissermaßen eingefordert, „notwendige gesellschaftliche Arbeit“ unentgeltlich zu leisten, um soziale Probleme als „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ zu bewältigen. Organisationen wie die ostdeutsche Volkssolidarität (VS), das Polnische Komitee für soziale Hilfe (PKPS) oder das Tschechoslowakische Rote Kreuz (ČSČK) mobilisierten in ihren Ländern tausende Freiwillige, die sich um alleinstehende und bedürftige alte Menschen in ihrer Umgebung kümmerten. Alle drei Organisationen sowie viele der Helferinnen und Helfer setzten ihr Engagement nach dem Umbruchjahr 1989 fort. Dazu motivierte sie ein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein, Mitgefühl, sowie ein früh erlernter Sinn für Solidarität und Gemeinschaft. Welche Erfahrungen sie mit dem Verlust ideeller und materieller Wertschätzung, neuen Impulsen aus dem Westen, aber auch mit Stolz und Beharrlichkeit seit 1989 sammelten, diskutiert dieser Beitrag. Hierbei geht es insbesondere um Leistungsvergleiche, in denen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen freiwillige Fürsorge und professionelle Pflegedienstleistungen gegenüberstellten, sich selbst in die Hierarchie institutioneller Fürsorge einordneten und ihre persönliche Motivation und Haltung für ihr oft langjähriges Ehrenamt reflektierten. Vorstellungen von persönlicher Leistung und den damit verbundenen Gefühlen nachzugehen, kann dazu beitragen, Erinnerungen, Deutungen und Motivationen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen neu zu kontextualisieren. Dabei wird auch deutlich, welchen Stellenwert das freiwillige Engagement in der individuellen privaten wie beruflichen Lebensführung innehatte und welche Beziehungen dabei zwischen Hilfeleistenden und Hilfebedürftigen in der postsozialistischen Transformation entstanden.
SLUB Dresden /Deutsche Fotothek / Borchert, Christian