Vortrag
Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus als Herausforderung für die Gedenkstättenarbeit: Ursachen und Gegenstrategien
Referent: Jens-Christian Wagner
21/11/2024 - 11:10
TIL 110 und online via Zoom
Description of the event
Seit einigen Jahren beobachten Gedenkstätten an den Orten nationalsozialistischer Verbrechen einen Anstieg rechtsextrem motivierter Übergriffe sowie geschichtsrevisionistischer Positionierungen von Besuchenden. Ursächlich sind u.a. der Aufstieg der AfD, die gegen die Erinnerungskultur gerichtete Positionen verbreitet, oder auch die Zunahme (zumeist antisemitischer) verschwörungsideologischer Legenden im Rahmen der Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen und gegen die Unterstützung der Ukraine nach der russischen Vollinvasion im Februar 2022. Im Vortrag werden Erscheinungsformen, Funktionen und Felder des Geschichtsrevisionismus vorgestellt, mit dem Gedenkstätten konfrontiert sind. Dabei wird der Blick auch auf fortwirkende Geschichtsbilder der DDR gelenkt, die Orte wie das frühere KZ Buchenwald mit antiwestlichen, antiliberalen und antizionistischen Mythen aufluden („Die Blutspur führt nach Bonn“). Sie sorgten erstens dafür, dass eine wirkliche Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortung für die NS-Verbrechen in der ostdeutschen Gesellschaft ausgeblieben ist. Zweitens sind diese Mythen für die ressentimentgeladene rechtsextreme Mischszene aus Reichsbürgern, AfD, Putin-Anhängern und Pandemieleugnern anschlussfähig. Deutlich wird das an geschichtspolitischen Blog-Beiträgen des 2023 gescheiterten Nordhäuser AfD-Oberbürgermeisterkandidaten Jörg Prophet.
Am Beispiel des zivilgesellschaftlichen Bündnisses #NordhausenZusammen, das die Wahl des AfD-Kandidaten erfolgreich verhinderte, werden im Vortrag Gegenstrategien vorgestellt. Aber auch ganz konkrete Maßnahmen in den Gedenkstätten werden in den Blick genommen: Wie sollen Guides auf Provokationen reagieren? Wie erkennt man geschichtsrevisionistische Signalfragen, mit denen Guides verunsichert oder Gruppenbetreuungen behindert werden sollen? Wo endet für Gedenkstätten das Neutralitätsgebot?
Jens-Christian Wagner ist seit 2020 Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Zuvor leitete er von 2001 bis 2014 die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora (Nordhausen) und von 2024 bis 2020 die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten in Celle. Wagner studierte Mittlere und Neuere Geschichte sowie Romanische Philologie in Göttingen und Santiago de Chile und schloss 2000 seine Promotion an der Universität Göttingen ab. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zur Geschichte des Nationalsozialismus und zur Erinnerungskultur nach 1945, u.a.: Produktion des Todes. Das KZ Mittelbau-Dora, Göttingen 2015; Ellrich 1944/45. Zwangsarbeit und Konzentrationslager in einer deutschen Kleinstadt, Göttingen 2008, (Hg. mit Daniel Logemann u. Rikola-Gunnar Lüttgenau) Zwangsarbeit im Nationalsozialismus. Begleitband zur Dauerausstellung, Göttingen 2024; (Hg. mit Anett Dremel u. Michael Löffelsender) Témoignages strasbourgeois. Berichte französischer Überlebender der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora, Göttingen 2024.
Der Vortrag ist Teil des HAIT-Kolloquiums Verlorene Transformation? Antworten aus der jüngsten Geschichte auf Fragen der Gegenwart im Wintersemester. Der Vortrag wird von Mike Schmeitzner moderiert.
Das Kolloquium findet in Raum 110 im Tillich-Bau und hybrid via Zoom statt. Für die Anmeldung wenden Sie sich bis zum 19.11.2024 bitte unter Angabe Ihres vollständigen Namens an: hait@tu-dresden.de
Der Registrierungslink wird Ihnen separat einige Tage vor Beginn der Veranstaltung zugesandt.
Diese Maßnahme ist mitfinanziert durch Steuermittel auf Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushalts.