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Call for Papers
Transformations.Zeit.Räume. Gedächtnis, Identität und politisches Handeln in den Transformationen des 20. und 21. Jahrhunderts

Anselm Meyer and Josephine Starke (HAIT)
09.10.2023 (von 23:55 Uhr
HAIT

Beschreibung der Veranstaltung

Call for Papers

Nachdem im letzten Jahr das Verhältnis von Individuum und Organisation in Diktatur und Demokratie im Fokus stand, soll das 3. Doktorand:innenforum des HAIT unter dem Titel „Transformations.Zeit.Räume“ die Wechselwirkungen zwischen Gedächtnis, Identität und Politik in den Transformationsgesellschaften des 20. und 21. Jahrhunderts erkunden. Im Mittelpunkt soll die Frage stehen, wie vor dem Hintergrund des tiefgreifenden Wandels gesellschaftlicher „Wirklichkeitsordnungen“ (Sabrow 1999) widerstreitende Deutungen der Vergangenheit sowie Gemeinschaftsdefinitionen und Zugehörigkeiten verhandelt werden und auf welche Weise diese Prozesse der Wirklichkeitsdeutung politische Akteure und Institutionen beeinflussen bzw. von diesen beeinflusst werden.

So zeigt sich, dass in Transformationen auch nach der Umformung der formalen gesellschaftlichen Institutionen die Vergangenheit in der Gegenwart der Transformationsgesellschaften nachwirkt: „alte“ Lebenswelten und Wissensbestände überdauern den Umbruch und beeinflussen gegenwärtige Weltdeutungen. Über die Auseinandersetzung mit dem Vergangenen finden außerdem individuelle und kollektive Selbstverständigungsprozesse statt, werden (Nicht-)Zugehörigkeiten definiert und Zukunftsvisionen entworfen. Dass diesen miteinander verwobenen Prozessen gesellschaftlicher Erinnerungs- und Identitätskonstruktion ein politisches Moment innewohnt, zeigt sich etwa in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft, wo auch abseits institutionalisierter Vergangenheitspolitik bspw. in der Popkultur eine Auseinandersetzung mit DDR- und Nachwendegesellschaft als Erfahrungsräumen individueller politischer Sozialisation stattfindet (z.B. unter dem Hashtag der „Baseballschläger-Jahre“) oder wo Protestakteure wie PEGIDA durch die Verwendung „Wende“-bezogener Symboliken etablierten Erinnerungsnarrativen Counter Narratives entgegensetzen und damit Anhänger:innen mobilisieren (vgl. Leistner et al. 2021).

Vor diesem Hintergrund wollen wir die Wechselwirkungen zwischen Identität, Gedächtnis und Politik in ihrer Vielfältigkeit in den Blick nehmen. Wie wirken sich die mit Transformationen einhergehenden abrupten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Brüche auf politische Biographien und Selbstbilder aus? Wie werden soziale Identitäten unter Rückgriff auf Inhalte des kulturellen und kommunikativen Gedächtnisses konstruiert und auf welche Weise werden diese Konstruktionen im Kontext partei- oder bewegungspolitischer Mobilisierung eingesetzt? Und wie wird Vergangenheit selbst zum Gegenstand politischen Handelns, etwa im Spannungsfeld zwischen staatlich-institutionalisierter, auf die Legitimation post-transformatorischer Ordnungen abzielender Geschichtspolitik und einem memory activism from below (Gutman et al. 2023)? Welche theoretischen und methodischen Zugänge eignen sich zur Erforschung dieser Problemstellungen?

Willkommen sind ausdrücklich auch jene Beiträge, die sich mit den genannten und verwandten Fragestellungen außerhalb des Kontextes postsozialistischer Transformationen auseinandersetzen und z.B. die demokratischen Transformationen im Gefolge des 2. Weltkrieges, im späten 20. Jahrhundert, etwa in Spanien und Portugal, oder auch postkoloniale Transformationsgesellschaften u. a. in den Blick nehmen. Die Betrachtung kann dabei sowohl auf der Mikro-Ebene, also z.B. über die Analyse politischer Biographien und Selbstbilder, der Meso-Ebene, bspw. anhand vergangenheits- oder identitätsbezogener Frames im Bewegungs- und Parteihandeln, oder auf der Makro-Ebene, also etwa über die Betrachtung staatlicher Geschichtspolitik, stattfinden. Ein Ziel des Forums soll sein, auch die Wechselwirkungen zwischen diesen Ebenen in den Blick zu nehmen. Folgende Aspekte können für das Forum dabei als Leitthemen dienen:

Neue Perspektiven auf die politische Dimension des Gedächtnisses

Die sozialwissenschaftliche Forschung hat sich dem Verhältnis von „Politik“ und „Gedächtnis“ bisher vornehmlich auf der Ebene der „Vergangenheits-“ oder „Erinnerungspolitik“ genähert, den Blick also auf ein spezifisches Policy-Feld innerhalb eines politischen Gemeinwesens gerichtet. Wo lassen sich in der Empirie auch unterhalb der Makro-Ebene politisch-institutioneller Vergangenheitsdeutung Berührungspunkte zwischen Politik und Gedächtnis identifizieren – etwa im Kontext der Konstruktion individueller politischer Biographien, der Tradierung politischen Wissens im familiären Kontext, des Gedächtnisses von Parteien und Bewegungen, des Memory Activism o.a.? Wie lässt sich das „Politische“ des Gedächtnisses abseits des politischen Systems denken?

Heterogenität und Brüchigkeit personaler und sozialer Identitäten

Wie werden personale und soziale Identitäten unter selektivem Bezug auf Diktatur- und Transformationsvergangenheiten und im Wechselspiel zwischen Selbst- und Fremdzuschreibungen konstruiert? Wie unterscheiden sich diese Konstruktionsprozesse zwischen verschiedenen Transformationsgesellschaften und entlang sozialstruktureller Dimensionen, d.h. zwischen unterschiedlichen generationellen, milieu- oder geschlechtsspezifischen Erfahrungsräumen? Wie werden identitätsbezogene Semantiken zur Begründung und Legitimation politischer Handlungen, Forderungen und Ordnungen eingesetzt? Und inwiefern kann der Identitätsbegriff angesichts fundamentaler Begriffskritiken (Brubaker/Cooper 2000, Niethammer 2000) überhaupt wissenschaftlich fruchtbar gemacht werden?

Intergenerationelle Weitergabe- und Aushandlungsprozesse

In Zeiten des transformationsbedingt rapiden gesellschaftlichen Wandels können große Unterschiede zwischen den Wissensbeständen verschiedener Generationen bestehen. Wie wird (politisches) Wissen angesichts dieser Differenzen intergenerationell tradiert und ausgehandelt? Welche Potentiale ergeben sich aus einer intergenerationellen Perspektive für die Beantwortung der Frage nach dem Weiterwirken der (Diktatur-)Vergangenheit in der Transformationsgesellschaft?

Das Doktorand:innenforum des HAIT versteht sich als interdisziplinär ausgerichtete Tagung. Wir laden Doktorand:innen aus den Geschichts- und Politikwissenschaften sowie ihren Nachbardisziplinen ein, Beiträge einzureichen, die sich mit dem hier skizzierten Spannungsfeld auf theoretischer oder empirischer Ebene auseinandersetzen.

Wenn Sie Interesse an einer Teilnahme am HAIT-Doktorand:innenforum haben, bitten wir Sie, uns einen Beitragsvorschlag (maximal 500 Wörter) und einen kurzen CV (maximal 75 Wörter) bis zum 9. Oktober 2023 an die folgenden Kontaktadressen zu senden: josephine.starke@mailbox.tu-dresden.de und anselm.meyer@mailbox.tu-dresden.

Nach Ablauf der Deadline werden alle Einreichungen gesichtet und es erfolgt eine Rückmeldung am 30.10.2023.

Das Forum findet am 15. und 16. Januar 2024 statt.

Zweifel, Palast der Republik, 2005.

Jula2812, Wikicommons, CC BY-SA 4.0