Kolloquium
Biografische Perspektiven in der Zeitgeschichte
Organisatoren: Andreas Kötzing und Mike Schmeitzner
01.10.2023 bis 23.01.2024
hybrid / online via Zoom
Beschreibung der Veranstaltung
Es gab Zeiten, da galt der biografische Ansatz als hoffnungslos antiquiert: Mit dem Aufkommen der Struktur- und Gesellschaftsgeschichte der „Bielefelder Schule“ schien die Biografik in den 1970er Jahre ausgedient zu haben. Das hat sich geändert, seit Lothar Gall, Ian Kershaw oder Volker Ullrich mit ihren großen Biografien für Furore sorgten. Inzwischen lässt sich von einer Konjunktur des biografischen Genres sprechen, das sich – verfolgt man die Buchveröffentlichungen dieses Landes – immer größere Beliebtheit erfreut. Doch was vermag dieses Genre bei der Erforschung der Zeitgeschichte – speziell der diktatorischen Regime – tatsächlich zu leisten? Welche Erkenntnisse lassen sich mit dieser Methode gewinnen, die auf anderen Wegen nicht einlösbar erscheinen? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Individuum und Struktur? Wie lässt er sich herstellen? Inwieweit haben wir es mit einer „biografischen Illusion“ (Pierre Bourdieu) zu tun, da doch eine biografische Kohärenz nicht existiert? Wie man sieht, ist dieses Genre „überraschend komplex“ (Thomas Etzemüller); es gilt zu Recht als „schwierige Königsdisziplin“ (Volker Ullrich). Wer sich auf dieses Genre einlässt, muss also mit Fallstricken und Herausforderungen rechnen.
In unserem Kolloquium werden wir mit Hilfe bestimmter biografischer Studien das Potential des Genres auszuloten versuchen und dabei auch kulturgeschichtliche Phänomene einbeziehen. Zuerst wird Thomas Etzemüller, der mit biografischen Studien zu Werner Conze und den Myrdals hervorgetreten ist und selbst ein Standardwerk über das biografische Genre veröffentlicht hat, einen Einblick in das Genre und seine Potentiale geben. Barbara Stollberg-Rilinger wird sodann ihr aktuelles Buch „Tyrannen“ vorstellen und am Beispiel des preußischen „Soldatenkönigs“ Friedrich Willhelms I. danach fragen, inwieweit ein biografischer Zugang dazu beitragen kann, die Rolle despotischer Herrscherfiguren zu verstehen. Martin Sabrow lässt uns Einblick nehmen in die Entstehung seiner auf zwei Bände angelegten Honecker-Biografie. Mit ihm ist zu fragen, inwiefern seine monumentale Honecker-Biografie das Bild des deutschen Kommunismus und der (späten) DDR-(Gesellschaft) neu vermessen kann? Simone Lässig wiederum versucht mit einem gruppenbiografischen Ansatz die Familiennetzwerke der Dresdner Bankiers Arnhold aufzuhellen und so auch die (transatlantische) Überlebensstrategie der jüdischen Familie zu ergründen. Bill Niven und Birgit Sack rücken demgegenüber die Narrative und Rezeptionen ihrer Protagonisten stärker in den Fokus: Im Falle Niven ist das die Figur Jud Süß und der NS-Film, der auch nach 1945 eine bislang unbekannte antisemitische Rezeptionsgeschichte aufweist. Birgit Sack beleuchtet hingegen die wenig bekannte Widerständlerin Maria Grollmuß, die aufgrund bestimmter Zuweisungen (links, sorbisch, katholisch) unterschiedlichen Deutungs- und Vereinnahmungsversuchen unterlegen war und ist.
Termine:
19.10.2023
Wer schreibt eigentlich eine Biografie? Und warum?
Thomas Etzemüller (Universität Oldenbourg)
1.11.2023 - Hannah-Arendt-Forum
"Jud Süß": "Biografie" eines antisemitischen Films
Bill Niven (Nottingham Trent University)
16.11.2023
Maria Grollmuß (1896-1944). Biografische Annäherung und Erinnerungsnarrative
Birgit Sack (Stiftung Sächsische Gedenkstätten, Dresden)
30.11.2023
Wie schreibt man die Biografie eines Despoten? Das Beispiel Friedrich Wilhelms I.
Barbara Stollberg-Rilinger (Wissenschaftskolleg zu Berlin)
11.01.2024
Transnationale Familien und Verwandtschaft im 19. und 20. Jahrhundert: Die Arnholds
Simone Lässig (Deutsches Historisches Institut, Washington)
25.01.2024
Der 'führende Repräsentant'. Probleme einer Honecker-Biografie.
Martin Sabrow (Humboldt-Universität, Berlin)
Das Kolloquium findet hybrid in der "Alten Kapelle" (TIL 310) und/oder online via Zoom statt.
Wenn Sie teilnehmen möchten, melden Sie sich bitte jeweils am Montag vor der Veranstaltung unter: hait@tu-dresden.de
Den Zugangslink erhalten Sie rechtzeitig vor der Veranstaltung.
Diese Maßnahme wird mitfinanziert mit Steuermitteln auf Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushalts.
HAIT