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Vortrag
Die Flucht jüdischer Polinnen und Polen nach Sachsen während und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg

Referent: Hans-Martin Behrisch
20.09.2022 - 14:00 Uhr
Archiv und Bibliothek des Bistums Würzburg

Beschreibung der Veranstaltung

Hans-Martin Behrisch hält den Vortrag "Die Flucht jüdischer Polinnen und Polen nach Sachsen während und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg" im Rahmen der Tagung „Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen […].“ Migrationsbewegungen zwischen den deutschen und polnischen Gebieten vom Mittelalter bis 1989“ im Archiv und Bibliothek des Bistums Würzburg.

Zum Inhalt des Vortrags:
Zwischen 1910 und 1925 verzeichnete Sachsen mit ca. 32% den höchsten prozentualen Zuwachs an jüdischer Bevölkerung in ganz Deutschland. Der Zuzug war die Folge einer schon seit mehreren Jahren anhaltenden Fluchtwelle osteuropäischer Juden in Richtung Westen. Dieser Umstand bewirkte, dass aufgrund der niedrigen Ausgangszahl in den jüdischen Großgemeinden Leipzig, Dresden und Chemnitz zu Beginn der 1920er Jahre, mehr als die Hälfte der Gemeindeglieder ausländischer Herkunft war, eine in Deutschland einmalige Situation.

Der in ganz Deutschland im späten 19. Jahrhundert verbreitete Begriff „polnische Juden“ beschrieb nicht nur jüdische Migrantinnen und Migranten mit polnischer Herkunft, sondern ist als Verallgemeinerung für alle Jüdinnen und Juden aus Osteuropa zu verstehen. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts etablierte sich der Begriff „Ostjuden“, welcher erst im 21. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum zunehmend kritisch betrachtet wurde. Zwei der wichtigsten Herkunftsgebiete der jüdischen Geflüchteten waren Polen und Litauen, die nach dem Krieg zu eigenständigen Staaten wurden. Die großen, vorwiegend orthodox lebenden, jüdischen Gemeinschaften erlebten in Polen schon seit vielen Jahren Ausgrenzung und Gewalt was, verbunden mit den durch den Krieg entstandenen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten, zu den hauptsächlichen Fluchtursachen gezählt werden muss. Die Lebenssituation nach der vor allem in Kriegszeiten besonders schwierigen Flucht in Sachsen, war in vielen Fällen kaum besser als die in Polen zurückgelassenen Umstände. Immigrierte Jüdinnen und Juden sahen sich oftmals vor allem wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten ausgesetzt, verstärkt durch die allgemeinen Kriegsumstände und auch den in Sachsen und ganz Deutschland sich rasch ausbreitenden Antisemitismus. Darüber hinaus war die juristische Frage über Bleiberecht oder Abschiebung umstritten und auch nicht immer eindeutig zu beantworten. Die Folge war eine oft unsichere Lebensrealität für die Geflüchteten, welche sich mit dem Wechsel des politischen 1918 nochmals veränderte.

Unter den sogenannten „Ostjuden“ bildeten Jüdinnen und Juden aus Polen eine der größten zahlenmäßigen Personengruppen. Der Vortrag wird zwei Hauptaspekte aufgreifen: Zum einen die Fluchtursachen einschließlich der veränderten Situation durch die Kriegsumstände und die deutsche Besatzung während des Ersten Weltkrieges. Außerdem die Lebenswirklichkeit nach der Flucht in Sachsen, wobei vor allem die wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation der Geflüchteten beschrieben werden soll.

Aufruf!

"Der Israelit" Jg. 1922