Vortrag
Neue Dimensionen des internationalen Rechtsterrorismus
Referent: Maximilian Kreter
22.10.2022 - 09:00 Uhr
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
Beschreibung der Veranstaltung
Maximilian Kreter hält den Vortrag Rechtsrock und Rechtsterrorismus: Gehen Musik, Geschäft und Terror Hand in Hand?“ bei der Tagung:
„Neue Dimensionen des internationalen Rechtsterrorismus“ am 21. & 22. Oktober 2022 an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
Zielsetzung Die Bedrohung durch rechten Terrorismus schien in den westlichen Industrienationen lange Zeit von untergeordneter Bedeutung. Über Jahrzehnte galt zunächst der Terrorismus von links (sozialrevolutionärer Terrorismus) als wichtigste innerstaatliche Bedrohung politisch motivierter Gewalt. Spätestens seit den verheerenden Anschlägen vom 11. September 2001 rückte dann vor allem der islamistische Terrorismus in den Fokus von Sicherheitsbehörden, Politik und Öffentlichkeit.
Daneben gab es – in unterschiedlicher Intensität – immer auch einen spezifischen Terrorismus von rechts, der allerdings im öffentlichen Gedächtnis weit weniger präsent zu sein scheint (für Deutschland vgl. u.a. Kopke 2017; Virchow 2019; Manthe 2019). Die Selbstenttarnung der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) konfrontierte die bundesdeutsche Öffentlichkeit mit dieser Bedrohung und zwang Politik und Sicherheitsbehörden zu Korrekturen und Neuausrichtungen (vgl. u.a. Kopke 2020).
Dabei sind schwere Gewalttaten und Terrorakte von rechts kein bundesdeutsches Spezifikum: Vielfältige Formen eines „Terrorismus von rechts“ bedrohen in den westlichen Demokratien die innere Sicherheit und das Leben von Minderheiten und in der Öffentlichkeit stehender Personen. Vor allem in den letzten Jahren ist verstärkt ein internationales Phänomen zu beobachten. Zu erinnern sind – um hier nur einige wenige Beispiele anzuführen – an die Massaker von Anders Breivik in Norwegen (2011), Dylann Storm Roof in Charleston/USA (2015), David Sonboly in München (2016), Robert Bowers in Pittsburgh (2018), Brenton Tarrant in Christchurch/Neuseeland (2019), die Morde und das geplante Massaker von Stephan Balliet in Halle (2019) oder jüngst das von Tobias Rathjen in Hanau verübte rassistisch motivierte Massaker.
Die Konferenz setzt es sich zum Ziel, zur Erforschung des gegenwärtigen Rechtsterrorismus beizutragen. Ausgangspunkt ist die Frage, inwieweit es sich bei den beschriebenen Attentaten tatsächlich um „neue“ Formen des Terrorismus handelt. Dabei sollen zum einen die weltanschaulichen, strategischen und operativen Dimensionen des Terrorismus beleuchtet werden; zum anderen soll aber auch gefragt werden, auf welche Weise diese Erscheinungen ggf. mit trans- bzw. internationalen politischen und/oder gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen zusammenhängen. So wurden Terrorakte, wie die oben beschriebenen aktuellen Fälle, über lange Zeit (in Deutschland auch noch über den NSU hinaus) oftmals als isolierte „Einzeltaten“ sogenannter „Einzeltäter“ betrachtet (Puls 2019). Angesichts ihrer offensichtlichen Bezüge untereinander bzw. aufeinander werden diese Taten inzwischen aber zunehmend als ein systematisches und damit für die innere Sicherheit äußerst relevantes Problem erkannt. Hier spielt auch die weltweite Vernetzung entsprechender Szenen im Internet eine herausragende Rolle.
Die inhaltlichen Begründungen der Täter ähneln sich, wenngleich unterschiedlich elaboriert ausgearbeitet, in einigen zentralen Punkten: Festzustellen sind in der Regel ein ausgeprägter Rassismus und antisemitische Verschwörungsideologien. Vielfach zeigen die Täter einen expliziten Antifeminismus und einen deutlichen Frauenhass (Misogynie). Die Täter sehen sich im notwendigen Kampf gegen den von „den Eliten“ bzw. Regierungen vermeintlich vorbereiteten Bevölkerungsaustausch („Volkstod“, „Umvolkung“, „großer Austausch“) bzw. im Kampf gegen eine angeblich gesteuerte Verbreitung „des Islams“ mit dem Ziel der kulturell-religiösen Hegemonie („Islamisierung“), und gegen eine behauptete Vormachtstellung der „Linken“ („Kulturmarxismus“, „1968“) (Quent 2019a, bes. 211ff.; Sanders 2019; Botsch/Kopke 2019).
Manchen Tätern geht es dabei in einer klassisch rassistischen Diktion explizit um die Verteidigung der „weißen Rasse“ oder der „weißen Überlegenheit“ („white supermacy“). Gerade in der internationalen Neonaziszene und ihren Netzwerken wird seit Jahrzehnten ein kommender „Rassekrieg“ geradezu beschworen. Andere Täter argumentieren eher kulturalistisch und geben vor, die durch vielfältige Faktoren angeblich bedrohte westliche Kultur retten zu wollen. Manche Taten – hier lassen sich z.B. das Attentat auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Rieker 2016 oder der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke 2019 einordnen – scheinen dabei klassische Konzepte des Rechtsterrorismus („leaderless resistance“ – führerloser Widerstand, „lone actor terrorism“ bzw. „lone wolf terrorism“– „einsame Wölfe“) umzusetzen (Pfahl-Traughber 2016; Hartleb 2018; Birmele 2020; Braatz 2020). Bei anderen Tätern ist ein direkter Bezug auf die klassischen Rechtsterrorkonzepte sowie eine Anbindung an neonazistische und rechtsterroristische Netzwerke nicht erkennbar.
Aktuelle Ermittlungs- und Gerichtsverfahren gegen rechtsterroristische Gruppierungen in der Bundesrepublik in den zurückliegenden Jahren (z.B. Old School Society, Gruppe Freital, Revo- lution Chemnitz) zeigen überdies Formen militanter Selbstermächtigung, die als „vigilantistischer Terror“ (Quent 2017; Quent 2019b) beschrieben werden können.
In allen Fällen spielen offenbar auch weltweite Kommunikationsbeziehungen und daraus resultierende Radikalisierungen im Internet eine große Rolle (Albrecht/Fielitz 2019; Allen 2019). Dass die Täter sich in ihren Selbstzeugnissen aufeinander beziehen, ist ein Phänomen, das etwa auch schon aus der Forschung zu Schulamokläufen bekannt ist. Überhaupt ist auffällig, dass es eine Reihe von Attentaten gibt, die in der Ausführung eher klassischen Amoktaten ähneln, wobei erkennbar wird, dass die Grenzen zwischen Amok und Terror hierbei mehr und mehr verschwinden (Leuschner 2013; Leuschner u.a. 2017; Kopke 2019; Sieber 2019). Dass einige dieser Taten in ihrer Ausführung an Videospiele erinnern, wirft zudem die Frage nach 3 einer möglichen „Gamifizierung des Terrors“ auf (Ditrich/Rathje 2019). Ideologische Mischformen wie ein zu beobachtender sog. „White Jihadism“, der sich zusätzlich aus Elementen jihadistischer Terrorkonzepte bedient sowie Rape Culture, Kindesmissbrauch und Satanismus propagiert, erhöhen zusätzlich die Unübersichtlichkeit des zu betrachtenden Feldes (Collins 2019).
Neben diesen einzelnen Dimensionen und verschiedenen Ausprägungen des „neuen“ Rechtsterrorismus stellt sich auch die Frage, welchen Anteil ein gesellschaftlicher Rechtsruck mit entsprechenden menschenfeindlichen Einstellungen in der Bevölkerung (Coester 2008) und abwertender Hassrede im Internet an den daraus möglicherweise resultierenden Gewalttaten haben und ob und wie dieser Zusammenhang empirisch belegt werden kann. Dies gilt insbesondere für Gewalttaten, die teilweise auf den ersten Blick nicht als politisch motiviert erkannt werden, wie etwa die Ermordung des liberalen Danziger Bürgermeister Paweł Adamowicz im Januar 2019. In der Gesamtbetrachtung lassen sich somit mehrere Dimensionen benennen, in denen eine „Neuartigkeit“ rechtsterroristischer Taten behauptet werden kann und auf der Tagung diskutiert werden soll: Weltanschauliche Dimension: Auf der weltanschaulichen Ebene stellt sich die Frage, inwieweit eine Entwicklung von klassischen ideologischen Versatzstücken des Rechtsextremismus hin zu neuartigen Bastelideologien stattfindet. Operative Dimension: Auf der operativen Ebene ist danach zu fragen, inwieweit es sich bei den jüngsten Attentaten um neue Erscheinungsformen des Rechtsterrorismus handelt und eine Entwicklung von Terrorgruppen hin zu Lone-wolf-Terrorismus (Hartleb 2018) „Terrok“ (Kron et al. 2015) oder demonstrativen Attentaten (Leuschner et al. 2017) beobachtet wer- den kann. Kommunikative Dimension: Auf der kommunikativen Ebene scheint auch im Kontext der Digitalisierung eine Entwicklung weg von isolierten Einzelzellen hin zur weltweiten Vernetzung stattzufinden. Hierbei geht es darum zu fragen, inwiefern dadurch neue Formen der „virtuellen Vergemeinschaftung“ stattfinden und diese „Netzgemeinschaften“ auch durch Manifeste adressiert werden. Praktische Dimension: Ein überaus wichtiger Aspekt betrifft die praktische Ebene des Um- gangs mit dem Rechtsterrorismus. Hier ist danach zu fragen, inwiefern auf die jüngsten Attentate weltweit auch mit veränderten Konzepten reagiert wird bzw. inwieweit eine Entwicklung weg von der politischen Relativierung hin zur Fokussierung stattfindet.