Vortrag
Sozialpolitik als Selbstverpflichtung – 'Komplexvereinbarungen' in der Altenfürsorge der DDR
Referentin: Dr. Maren Hachmeister
10.06.2022
Berlin, Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Kronenstraße 5
Beschreibung der Veranstaltung
Dr. Maren Hachmeister hält im Rahmen der 4. Hermann-Weber-Konferenz zur Historischen Kommunismusforschung einen Vortrag mit dem Titel "Sozialpolitik als Selbstverpflichtung – 'Komplexvereinbarungen' in der Altenfürsorge der DDR".
Abstract:
In den 1980er-Jahren schlossen in der DDR viele Bezirke und Städte sogenannte Komplexvereinbarungen mit der Nationalen Front, dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund und Organisationen wie der Volkssolidarität, dem Roten Kreuz oder dem Frauenbund ab. In diesen Vereinbarungen verpflichteten sie sich dazu, Aufgaben in der Pflege älterer Menschen zu übernehmen, erklärten ihre Zuständigkeiten für bestimmte Bereiche und schrieben Verantwortlichkeiten fest. Sich um die Älteren zu kümmern, war bis dahin zugleich als Aufgabe des „Fürsorgestaates“ und als „gesamtgesellschaftliches Anliegen“ verstanden worden. Die Komplexvereinbarungen definierten nun neue Formen der Zusammenarbeit staatlicher und nicht-staatlicher Fürsorgeleistender, die auch Familienangehörige und Nachbarn in die Pflicht nehmen sollten. Welchen Beitrag Einzelne zur Pflege älterer Menschen leisten konnten und welchen der Staat, waren sozialpolitische Fragen, die noch vor der „Wende“ wirksame Antworten erforderten. Die aktive Einbeziehung Älterer, ihre Lebenssituation, ihre Wohnbedingungen, und ihre Gesundheit standen im Mittelpunkt der Bemühungen. Weder in der damaligen Bundesrepublik, noch in den ostmitteleuropäischen Nachbarländern der DDR gab es vergleichbare schriftliche Vereinbarungen in der Altenfürsorge. Waren sie eine reine Formalität? Stellten sie nur eine Verschriftlichung bereits etablierter Praktiken dar, oder lässt sich an ihnen ein sozialpolitischer Kurswechsel ablesen? These dieses Beitrags ist, dass solche Komplexvereinbarungen kurz vor der „Wende“ den Weg für mehr Eingenverantwortlichkeit der Fürsorgenden ebneten, während pflegebedürftige Ältere Gegenstand einer Propaganda wurden, die das sozialistische Gemeinschaftsgefühl noch einmal wiederbeleben wollte. Der Beitrag hinterfragt darüber hinaus, inwiefern die Komplexvereinbarungen den sozialpolitischen Leitbildwandel nach 1989 hin zum aktivierenden Sozialstaat in Ostdeutschland vorbereiteten bzw. behinderten.
Das komplette Programm finden Sie hier:
SLUB Dresden / Deutsche Fotothek / Borchert, Christian