Journal volume 20, 2023, issue 1
Am falschen Ort? Kindheit, Trennung und Gewalt im 20. Jahrhundert / Displaced – Misplaced? Childhood, Separation and Violence in the 20th Century
Articles
Natalia Aleksiun:
“It is a Matter of Life and Death”: Jewish Child Survivors and the Trials of Separation After the Holocaust (S. 37–52)
In dem Artikel werden Lebenswege jüdischer Überlebender, ihrer biologischen Eltern und derjenigen, die ihnen während des Holocausts geholfen hatten, im Nachkriegspolen nachgezeichnet. Anhand mehrerer Fallstudien über Beziehungen und Ehen aus der Kriegszeit werden die häufig fragmentarischen und auch widersprüchlichen Erzählungen über die Trennungserfahrungen analysiert. Die Berichte der leiblichen Eltern und ihrer Kinder, der Adoptiveltern und Helfer geben Aufschluss über die schwierigen Entscheidungen, vor denen sie standen. Dazu gehörten individuelle Entscheidungen über das Weggehen oder Verbleiben, die von und im Namen von jüdischen Kindern getroffen wurden, die während des Holocausts gerettet worden waren, von jüdischen Kindern, die im Verlauf des Krieges volljährig wurden, sowie von nach dem Krieg geborenen Kindern, die Partnerschaften zwischen jüdischen Überlebenden und deren Helfern/Helferinnen entstammten.
Thomas Beddies:
Reconstruction Without Reform? Child and Adolescent Psychiatry in Berlin After 1945 (S. 53–74)
Gegenstand des Beitrags ist die Neuorganisation kinder- und jugendpsychiatrischer Versorgung in Ost- und Westberlin zwischen 1945 und den 1960er-Jahren. Nach Nachkriegsnot, Berlin-Krise und Teilung der Stadt wird eine Auseinanderentwicklung im Hinblick auf den Umgang mit hilfsbedürftigen Kindern beobachtet, die vor allem durch äußere Faktoren geprägt war. Später festzustellende strukturelle und fachliche Modernisierungen in der Versorgung in Ost und West können nicht darüber hinwegtäuschen, dass aus heutiger Sicht weiterhin massive Missstände in Bezug auf Eingriffe in die psychische und physische Unversehrtheit und die Selbstbestimmungsrechte von Kindern und Eltern bestanden.
Johanna Sköld:
On the Challenge of Historicizing Violence: Conflicts in State Redress for Historical Abuse of Children in Out-of-home Care (S. 75–91)
Der frühere Missbrauch von Kindern in der Ersatzfürsorge ist ein wichtiges Thema der Politik geworden, wie die Einrichtung von Untersuchungskommissionen, offizielle Entschuldigungen und staatliche Aufarbeitungsbemühungen zeigen. Menschen, die als Kinder von ihren Geburtsfamilien getrennt und in Pflegefamilien oder in Heimen Gewalt erfuhren, haben in den letzten Jahren ihre Stimme erhoben und ihre Rechte als Überlebende des Missbrauchs eingefordert. Wie können wir aber Missbrauch und Gewalt im Hinblick auf historische Zeiten definieren, in denen Kinder nicht denselben Status wie heute hatten? Dieser Aufsatz zeigt die Herausforderungen, die mit dem Bemühen um eine Historisierung von Gewalt und Missbrauch einhergehen, indem er darauf verweist, welche unterschiedlichen Vorgehensweisen im schwedischen Aufarbeitungsprozess von Kindesmissbrauch gewählt wurden.
Sarah Meyer/Johannes Richter:
Separation as Policy and Experience: Interim Findings of the Hamburg Research Project on Sent-away Children (S. 93–118)
Von 1945 bis 1980 wurden etwa 120 000 Kinder und Jugendliche in eines der Kurheime der Rudolf-Ballin-Stiftung oder des Vereins für Kinder- und Jugendgenesungsfürsorge verschickt. Während der Aufenthalte erlebten viele Kinder einen Alltag, der von repressiven Erziehungspraktiken, Gewalt und Heimweh geprägt war. Anhand einer Untersuchung dieser kindlichen Trennungen präsentiert der Artikel das Anliegen und erste Zwischenergebnisse des Hamburger Forschungsprojektes. Es wird der Frage nachgegangen, welche heilenden gesundheitlichen Wirkungen Kinderärzt:innen und Pädagog:innen dem Orts- und Klimawechsel zuschrieben und wie diese Kinder selbst die Trennungserfahrung in heutigen Erzählungen verhandeln. Die Ausführungen stehen im Kontext eines Forschungsfeldes, das kindliche Migration aufgrund von Kriegen und Evakuierungs- und Erholungsprogrammen als zentralen Teil einer Geschichte der Gewalt des 20. Jahrhunderts konzeptualisiert.
Book Reviews
Die beschädigte Kindheit. Das Krippensystem der DDR und seine FolgenMünchen (C.H. Beck) 2022 / Autor: Florian von Rosenberg
Rezension: Max Gawlich (S. 121–123) Displaced Children in Russia and Eastern Europe, 1915–1953: Ideologies, Identities, Experiences, Russian History and Culture
Leiden/ Boston (Brill) 2017 / Autor: Nick Baron
Rezension: Martina Winkler (S. 124–126) Saving the Children: Humanitarianism, Internationalism and Empire
Oakland (University of California Press) 2022 / Autor: Emily Baughan
Rezension: Dolores Martín-Moruno (S. 126–128) Feindbild Israel. Udo Albrecht, der rechte Terror und die Geheimdienste
Jena (Akademische Verlagsbuchhandlung Friedrich Mauke) 2022 / Autor: Jan Schönfelder
Rezension: Helmut Müller-Enbergs (S. 129–130)