Journal volume 19, 2022, issue 1
Arbeiter und Rechtspopulismus / Labour and Right-Wing Populism
Articles
Klaus Dörre:
A Right-Wing Labour Movement? Causes of an Imaginary Revolt (S. 29–46)
Der Text beruht auf der Poulantzas-Lecture, die ich im Dezember 2019 am Poulantzas Institute in Athen halten durfte. Der Text ist weitgehend in der Redeform belassen, nun aber mit Fußnoten und Literaturhinweisen versehen. Eine ausführliche Fassung ist in Griechenland als Monografie erschienen. Eine davon allerdings abweichende deutsche Fassung findet sich in meiner Monografie „In der Warteschlange“.
Stefan Berger:
The Alternative für Deutschland (AfD) and its appeal to workers - with special reference to the Ruhr Region of Germany (S. 47–70)
Der vorliegende Aufsatz beurteilt, in welchem Ausmaß die AfD in der kurzen Geschichte seit ihrer Gründung 2013 Themen behandelt hat, die die deutsche Arbeiterklasse betreffen. Besondere Aufmerksamkeit widmet er den Mitgliedern, die unter Führung von Björn Höcke im „Flügel“ der Partei organisiert waren. Diese standen in den vergangenen Jahren an vorderster Front der Propagierung völkisch-sozialer Ideen. Der Text beschreibt verschiedene Versuche, rechte Gewerkschaften aufzubauen und rechte Listen für Betriebsratswahlen in deutschen Fabriken aufzustellen. Darüber hinaus untersucht er das Schicksal der AfD im Ruhrgebiet, einer archetypischen Arbeiterklassenregion in Deutschland.
Alexandr Osipian:
The decline of the Left, populist mobilization and insurgencies in the old industrial region of Donbas, 1991-2014 (S. 71–93)
Warum werden die Bewohner der Donbass-Kohlenreviere für die imperiale, klerikale und nationalistische Agenda empfänglich, die 2014 von den Russen eingeführt wurde? Warum haben viele Einheimische die populistischen Ideen von Noworossija und Sezession so schnell verinnerlicht? Antworten auf diese Fragen werden in diesem Beitrag zu geben versucht, indem drei wichtige Phänomene untersucht werden: den Niedergang der Linken in der postsowjetischen Ukraine, die populistische Mobilisierung und die Ressentimentpolitik in der alten Industrieregion Donbass.
Ondřej Daniel:
Plucking the Strings of Working-Class Xenophobia: The Case of Ortel, a Czech Band in the mid-2010s (S. 95–109)
Die vorliegende Studie untersucht die Klassenherkunft des Rechtspopulismus unter tschechischen Arbeitern und betont die mobilisierende Kraft populärer Musik in diesem Kontext. Mein Fokus liegt auf Ortel, einer in den 2010er-Jahren aktiven „nationalistischen Rockband“. Ortel gaben vor, im Gegensatz zu den Eliten zu „gewöhnlichen Leuten“ und für diese zu sprechen, und ihre Fangemeinde setzt sich bis heute zum großen Teil aus Menschen der Arbeiterschicht zusammen. Die Untersuchung zieht sowohl Artikel tschechischer Mainstream-Pressekanäle als auch zusätzliches Material von Experten des Themenbereichs heran. Sie historisiert die Popularität von Ortel, die aus der strategischen Normalisierung des rechten Randes und seiner Positionen hervorging. Letztere wurden während der Wirtschaftskrise nach 2008 vom unverhohlenen Rassismus der 1990er bereinigt.
Eva Svatoňová:
"We Want Justice and Equality, Not Gender" Translating Class Struggle into Anti-gender Discourse (S. 111–126)
Neue „reaktionäre“ Bewegungen, die sich gegen Geschlechtergleichstellung und LBTIQA+-Rechte richten, werden in der Literatur als „anti-gender movements“ bezeichnet. Sie setzen sich aus ideologisch diversen Akteuren zusammen, die ein gemeinsamer Feind eint: die „Gender-Ideologie“. Der vorliegende Artikel konzentriert sich auf die tschechische Variante dieser Bewegung und zeigt auf, dass die sich mit ihr identifizierenden Personen besonders in Glaubensfragen sowie hinsichtlich ihres kulturellen und ökonomischen Kapitals erhebliche Unterschiede aufweisen. Der von Repräsentanten der Katholischen Kirche, neoliberalen und konservativen Intellektuellen artikulierte Diskurs versucht, gebildete Katholiken und Konservative der Mittelschicht anzusprechen, die vielfach der Idee des freien Marktes anhängen. Der Anti-Gender-Diskurs rechtsextremer Populisten zielt hingegen auf ungebildete Arbeiter und Personen, die im nach 1989 in Tschechien eingeführten neoliberal-kapitalistischen System mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben.
Paulus Wagner:
Varieties of Laborism. Social Inclusion and Exclusion in Working-Class Visions of the Political Econony (S. 127–153)
Neue „reaktionäre“ Bewegungen, die sich gegen Geschlechtergleichstellung und LBTIQA+-Rechte richten, werden in der Literatur als „anti-gender movements“ bezeichnet. Sie setzen sich aus ideologisch diversen Akteuren zusammen, die ein gemeinsamer Feind eint: die „Gender-Ideologie“. Der vorliegende Artikel konzentriert sich auf die tschechische Variante dieser Bewegung und zeigt auf, dass die sich mit ihr identifizierenden Personen besonders in Glaubensfragen sowie hinsichtlich ihres kulturellen und ökonomischen Kapitals erhebliche Unterschiede aufweisen. Der von Repräsentanten der Katholischen Kirche, neoliberalen und konservativen Intellektuellen artikulierte Diskurs versucht, gebildete Katholiken und Konservative der Mittelschicht anzusprechen, die vielfach der Idee des freien Marktes anhängen. Der Anti-Gender-Diskurs rechtsextremer Populisten zielt hingegen auf ungebildete Arbeiter und Personen, die im nach 1989 in Tschechien eingeführten neoliberal-kapitalistischen System mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben.
Many blue-collar workers support populist radical right-wing (PRR) parties even if the economics of this alignment seem contradictory. This highlights that we lack an understanding of how workers make sense of the advanced capitalist political economy. Drawing on 75 qualitative interviews with Austrian and East German manual workers, I analyze the use of moral frames in arguments on “who should get what”. I find that most workers rely on laborist frames, placing the value of work at the center of a moral vision of the political economy. Laborism comes with core claims alongside ideological varieties. I distinguish a moderate, an exclusivist, and an inclusivist variety of laborism, which each link the core-concern for the value of work to a different economic ideology – productivism, producerism, and post-productivism – what results in different constructions of social in- and out-groups and different preferences on certain socio-economic policy issues. Only one of these varieties is associated with PRR-politics. Democratic political actors aiming to (re-)establish resonance with the working-class may be well advised to take up the other varieties, or to take up laborist core themes from their respective ideological perspective.
Tibor Valuch:
From right to left, left to right - Changes in the political behaviour of Hungarian workers in the 20th century (S. 155–170)
In diesem Aufsatz untersuche ich Veränderungen in den politischen Einstellungen und Identitäten der ungarischen Arbeiterklasse im 20. Jahrhundert. Ich versuche die Frage zu beantworten, inwiefern die wiederholten Regimewechsel das politische Verhalten der Arbeiter beeinflusst haben. Wie hat sich die politische Identität verschiedener Arbeitergruppen verändert? Handelt es sich bei der historischen Annahme eines dominant linken Charakters der ungarischen Arbeiter um einen Mythos, und wenn ja warum? Welche Faktoren und Prozesse sozialer Integration können die dynamischen Veränderungen in der politischen Zugehörigkeit von Arbeitern erklären? Ich versuche, auf den Ebenen der nationalen, lokalen und persönlichen Geschichte Antworten auf diese Fragen zu finden.
Adrian Grama:
Exiled Trade-Unionists and the Language of Totalitarianism during the Early Cold War (S. 171–189)
Der vorliegende Aufsatz erforscht die Aktivitäten des International Centre of Free Trade Unionists in Exile (ICFTUE), indem er sich auf das intellektuellen Wirken ihres langjährigen Vizepräsidenten, des rumänischen Gewerkschaftsführers und Sozialdemokraten Eftimie Gherman (1894–1980), konzentriert. Im Jahr 1948 in Paris gegründet, vereinigte das ICFTUE exilierte Gewerkschafter aus Ostmitteleuropa und den Baltischen Staaten und fungierte als wesentliche Plattform für die Diskussion des Schicksals der Arbeiterbewegung im „Völkergefängnis“ des sowjetischen Blocks. Anhand einer Fallstudie am Magazin România Muncitoare, für das Gherman von 1951 bis 1961 als Redakteur tätig war, sowie dem monatlichen ICFTUE-Bulletin Le Syndi-caliste exilé zeige ich, wie eine historisch spezifische Vorstellung von Totalitarismus artikuliert wurde, um der Herausforderung zu begegnen, den Zustand der Arbeiterbewegung unter dem staatlichen Sozialismus für ein westliches gewerkschaftliches Publikum erklärbar zu machen.
Book Reviews
The Social Question in the Twenty-First Century: A Global ViewOakland (University of California Press) 2019 / Autor: Jan Breman/Kevan Harris/Ching Kwan Lee/Marcel van der Linden
Rezension: Maren Hachmeister (S. 193–195) New Authoritarianism. Challenges to Democracy in the 21st Century
Opladen (Barbara Budrich Publishers) 2019 / Autor: Jerzy J. Wiatr
Rezension: Rolf Frankenberger (S. 196–199) Die Sprache der Populisten. Eine politikwissenschaftliche Sprachanalyse
Baden-Baden (Nomos) 2021 / Autor: Johannes Schaefer
Rezension: Thomas Niehr (S. 199–201) Jetzt! Opposition, Protest, Widerstand
Köln (Kiepenheuer & Witsch) 2019 / Autor: Claus Leggewie
Rezension: Kristin Eichhorn (S. 202–203) Right-Wing Populism and Gender. European Perspectives and Beyond
Bielefeld (transcript Verlag) 2020 / Autor: Gabriele Dietze/Julia Roth
Rezension: Julia Stolzenberger (S. 204–206) The Success and Failure of Right-Wing Populist Parties in the Benelux Countries
London (Routledge) 2021 / Autor: Léonie de Jonge
Rezension: Hans-Georg Betz (S. 206–208)