Call for Papers - Doktoranden-Forum
AktivistInnen von rechts: Interpretative Perspektiven auf Entstehung und Stabilisierung rechter Gruppenmitgliedschaften - 4. Doktorand:innen-Forum am 7./8. Juli am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der TU Dresden
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist weltweit eine Normalisierung radikal rechter Parteien und Bewegungen zu erleben, die ihren jüngsten Niederschlag in der Wiederwahl Donald Trumps und dem Stimmzuwachs für die Alternative für Deutschland bei der Bundestagswahl gefunden hat. Sozialwissenschaftliche Erklärungsversuche dieser „vierten Welle“ (Mudde 2019) der Rechtsaußen-Politik seit dem Zweiten Weltkrieg fokussieren trotz früher Kritiken am Elektoralismus der Rechtsaußen-Forschung (vgl. Castelli Gattinara 2020: 318) häufig auf die Wähler- schaft der Parteien und fragen nach ihrer soziodemographischen Zusammensetzung sowie den Gründen ihres Wahlverhaltens (vgl. Rydgren 2018: 6). Während die Studienlage in diesem Bereich kaum noch überschaubar ist, besteht nach wie vor ein Mangel an qualitativen Untersu- chungen, die Rechtsaußen-Aktivisten und -Aktivistinnen inner- wie außerhalb dieser Parteien in den Blick nehmen (vgl. z.B. Fisher Smith et al. 2020: 197). Zwar entstanden einzelne Studien zu den oft jugendlichen Mitgliedern rechtsextremer Gruppen bereits in den 2000er Jahren (vgl. Inowlocki 2000; Blee 2003; Köttig 2004; Möller/Schumacher 2007, Klandermans/Mayer 2009). Erst in der jüngeren Zeit erlebt die interpretative, qualitative Forschung in diesem Feld allerdings eine breitere Konjunktur, die nun auch mit Versuchen einer methodologischen Systematisierung einhergeht (vgl. Blee 2018; Toscano 2019; Ashe et al. 2020).
Dieser Art qualitative Untersuchungen ermöglichen es, die komplexen Prozesse nachzuvollziehen, in denen Mitgliedschaften in Rechtsaußen-Gruppen entstehen, sich stabilisieren, transformieren und ggf. auch auflösen. Sie öffnen den Blick für die historisch kontextualisierten Selbst- und Weltdeutungen der Aktivistinnen und Aktivisten sowie für die von diesen Gruppen bereitgestellten Deutungsangebote und Praktiken und fragen danach, vor dem Hintergrund welcher biographischer Erfahrungen und Problemlagen diese Formen der Vergemeinschaftung für Handelnde attraktiv erscheinen. Mittlerweile ist hier ein zwar noch recht kleines, aber theoretisch und methodisch diverses Forschungsfeld entstanden, das aus z.B. bewegungs- (Erhard et al. 2019), affekt- bzw. emotionssoziologischer (vgl. z.B. Beyer/Weisskircher 2024; Spissinger 2024), biographie- (z.B. Pilkington 2016; Sigl 2018), radikalisierungs- (Pilkington 2023) oder sozialisationstheoretischer (z.B. Nohl 2023) Perspektive und unter Rückgriff auf z.B. interviewbasierte oder ethnographische Methoden danach fragt, wie sich die Attraktivität von Rechtsaußen aus Sicht ihrer Anhänger und Anhängerinnen verstehen lässt.
Das 4. Doktorand:innen-Forum des HAIT will an dieses aufkeimende, interdisziplinäre Forschungsfeld anschließen und lädt Promovierende aus der Soziologie, der Politik-, Kultur- und Geschichtswissenschaft sowie ihren Nachbardisziplinen dazu ein, Arbeiten zu präsentieren und zu diskutieren, die sich mit den Mitgliedern von Parteien, Bewegungen, Szenen und anderen Formen sozialer Ordnungsbildung innerhalb der Far Right aus einer qualitativen Perspektive auseinandersetzen. Willkommen sind sowohl theoretisch, methodologisch, methodisch als auch empirisch orientierte Arbeiten, die gerne auch andere Regionen als Westeuropa und die USA in den Blick nehmen dürfen. Die Beiträge können folgende Problembereiche adressieren, müssen sich aber nicht darauf beschränken:
Methodische und forschungsethische Herausforderungen
Wissenschaftler:innen sehen sich in der verstehenden Forschung zu Rechtsaußen oft mit methodischen und forschungsethischen Herausforderungen konfrontiert, die in der Literatur bisher nur unzureichend diskutiert werden. Wie gelingt etwa die Herstellung eines ethnographischen Zugangs zu militanten Feldern oder gar der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zu InterviewpartnerInnen trotz tiefgreifender politischer Differenzen? Welche Sicherheitsrisiken existieren und wie kann mit ihnen sowie mit den herausfordernden emotionalen Dynamiken im Feld umgegangen werden? Welche methodologischen und methodischen Ansätze helfen dabei, die Sinngebungen von Rechtsaußen-Aktivistinnen und -Aktivisten zu rekonstruieren, ohne ihre Selbstbilder unkritisch zu reproduzieren?
Nexus zwischen Handelnden und Rechtsaußen-Gruppierungen
In Teilen der Bewegungsforschung wird betont, dass spätere Aktivist:innen häufig auf eher ungeplante Weise in soziale Bewegungen „[h]ineinrutschen“ (Leistner 2018: 108), anstatt den Zugang zu ihnen auf Basis bereits konsolidierter politischer Überzeugungen proaktiv zu suchen. Wir interessieren uns vor diesem Hintergrund für Beiträge, die sich mit den lokalen und situativen Konstellationen beschäftigen, in denen politisch Handelnde mit Rechtsaußen-Parteien oder -Bewegungen in Kontakt kommen und mit den Bedingungen, unter denen sich Gruppenmitgliedschaften in ihnen herausbilden und stabilisieren. Wie rekrutieren diese Akteure ihre Mitglieder? Welche Rolle spielen hier z.B. Schlüsselfiguren (vgl. Leistner/Faust 2013), Grass- Roots-Aktivitäten der Parteien (vgl. Deodhar 2020), Diskussionsveranstaltungen, die lokale Befindlichkeiten thematisieren (vgl. Pates/Leser 2021) oder Brücken-Akteure wie die Fußballhooligan-Szene (vgl. Erhard et al. 2019)? Wie bedeutsam sind bestimmte Eigenheiten dieser Gruppierungen, wie etwa ihre Gewaltaffinität (vgl. ebd.) oder im Falle der AfD ihr im Vergleich zu anderen Parteien gesteigertes Maß an innerparteilicher Demokratie (vgl. Heinze/Weisskircher 2021; Höhne 2021), im Hinblick auf die Herstellung und Stabilisierung des Engagements ihrer Mitglieder? Unter welchen Bedingungen schwächt sich die Bindungswirkung der Rechts- außen-Akteure ab und kommt es zu Distanzierungs- oder Ausstiegsprozessen (vgl. z.B. Sigl 2018)?
Vergleichende Perspektive und Spezifik von Rechtsaußen-Deutungen und -Praxen
Qualitative Analysen, die die Deutungsmuster, Handlungsorientierungen und affektiven Ge- stimmtheiten der Mitglieder von Rechtsaußen-Akteuren analysieren, sind sehr zeitaufwändig. Vergleiche mit den Angehörigen anderer weltanschaulicher Gruppierungen sind daher nur selten Teil der Designs insb. von Dissertationen (anders z.B. Kumkar 2018). Infolgedessen steht zumindest in Zweifel, inwiefern die rekonstruierten Sinnmuster, wie etwa Apokalypse-Narrative, Endzeitorientierungen (Rhein 2023), Anerkennungs- oder Statusproblematiken oder Praxen des Schimpfens und Spottens (Spissinger 2024), spezifisch sind für die AktivistInnen und Gruppen der radikalen und extremen Rechten oder so nicht auch in anderen Zusammenhängen zu finden sein könnten. Wir interessieren uns vor diesem Hintergrund für Vergleiche mit den Anhänger:innen anderer Szenen, Bewegungen oder Parteien, die zur Reflexion über die Spezifik der Praxen und Sinngebungen von Rechtsaußen anregen, und für Überlegungen zu der Frage, wieso sich Handelnde zwischen zahlreichen anderen Optionen sozialer Vergemeinschaftung gerade für die Mitgliedschaft in Rechtsaußen-Formationen entscheiden.
Bei Interesse bitten wir um Einreichung eines aussagekräftigen Abstracts (max. 500 Wörter) und kurzen CV bis zum 25. April 2025 an josephine.starke@mailbox.tu-dresden.de. Die Rückmeldung erfolgt bis zum 9. Mai 2025.

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