Das DDR-Justizministerium unter der Leitung der LDPD-Minister Kurt Wünsche und Hans-Joachim Heusinger 1967–1990
Diktaturforschung / Forschungsfeld
Herrschaft und Gesellschaft / Forschungsschwerpunkt
01.2015–12.2024 / Laufzeit
Franz-Joseph Hille / Koordination
PROJEKTBESCHREIBUNG
Als im Sommer 1967 Kurt Wünsche (LDPD) auf die Justizministerin Hilde Benjamin (SED) folgte, ging zum einzigen Mal in der Geschichte der DDR-Ministerien der Spitzenposten eines zentralen Ressorts von der SED an einen Vertreter einer „bürgerlichen“ Partei. Der wohl nicht zuletzt repräsentativen Zwecken dienende Personalwechsel erscheint ungewöhnlich, gab doch die Partei in einem herrschaftspolitisch relevanten Bereich offenbar Kompetenzen aus der Hand. Angesichts der Machtstellung der SED im Staat verbunden mit den Verflechtungen des Parteiapparates in staatliche Behörden erscheint es allerdings zweifelhaft, ob eine solche Personalie überhaupt nennenswerte Folgen für die SED-Herrschaft im Justizministerium (MdJ) zeitigte. Um den Wechsel einordnen zu können, gilt es freilich, der Frage nach der Bedeutung der „Blockparteien“ in staatlichen Verwaltungen nachzugehen; wichtiger noch erscheint es aber, ganz allgemein nach Rolle und Stellung des staatlichen Ministeriums im Herrschaftssystem der DDR zu fragen.
In der Forschung bildet die öffentliche Verwaltung jedoch einen vergleichsweise wenig beachteten Gegenstand. Dies lässt sich im Kern auf eine verbreitete, vor allem auf Formalstrukturen rekurrierende Perspektive zurückführen, die ausgehend von der SED-Führungsrolle staatliche Behörden als bloße „Partei-Anhängsel“ und unselbständige Befehlsempfänger betrachtet. Die daraus resultierende Annahme von der Passivität der staatlichen Ressorts, die letztlich das SED-Postulat vom Staat als Partei-Instrument reproduziert, soll im Dissertationsprojekt hinterfragt und das Ministerium und seine Akteure als am Herrschaftssystem aktiv Teilnehmende ins Zentrum gerückt werden. Die eingehende Beschäftigung mit einem DDR-Ministerium füllt somit nicht einfach eine Forschungslücke, sondern bildet einen Perspektivwechsel, von dem aus der staatlichen Verwaltung in der Diktatur relative Eigenständigkeit unterstellt wird. Entsprechend versteht das Projekt das MdJ als eine Verwaltungsorganisation – ein multifunktionales soziales Gebilde, dessen Binnenstrukturen und Herrschaftspraxis ausgehend von der Ära Benjamin in den Blick genommen werden. Ziel ist es, die Vorstellung vom monolithischen „Partei- und Staatsapparat“ aufzubrechen und die Herrschaftsmechanismen hinter der Indienstnahme des Staates durch die SED weiter zu erhellen. Auf dieser Basis soll zur Klärung der beachtlichen Stabilität des politischen Systems insbesondere in den Jahrzehnten nach dem Mauerbau beigetragen werden.